Literaten zum Anderen Bayern

Carl Amery (Pseudonym von Christian Anton Mayer)

9. April 1922 in München, † 24. Mai 2005 in München

Carl Amery (Skizze pep aarau)

Freistaat – oder (noch) nicht ? Auszug aus dem Aufsatz in „Freistaat! Die Anfänge des demokratischen Bayern 1918/19″,                Hg. Friedrich Weckerlein, Serie Pieper 1994

…… Wie also soll sich bayerisches Selbstbewusstsein, bayerisches Geschichtsbewusstsein konkretisieren, wie soll sich das Bild des wahren Frei-Staates in eine jahrtausendalten Geschichtsraum darstellen? Erlauben Sie einem Belletristen, das in einem Städtebild auszudrücken.

In der kleinen und nicht sehr reichen Industriestadt Romans an der Isère, durch die raue Bergwinde blasen, trägt die breite Zentral-Avenue mit ihren brutal beschnittenen Akazien den Namen des Jean-Jaurès, des machtvollen pazifistischen Sozialisten also, den am Tage des Kriegsausbruchs 1914 ein Chauvinist in einem Pariser Café erschoss. Mitten auf dieser Avenue aber erhebt sich, im wenn nicht bewährten, so doch üblichen Zuckerbäckerstil all dieser Monumente, das Kriegerdenkmal des Departements zum Andenken an 1914/18 –mit der barbusigen Freiheitsdame, die kühn die Fahne in den Wind reckt, mit schmachtend hinsinkenden Poilus etcetera.

Unwillkürlich ging damals, als ich dieses Arrangement erblickte, meine Phantasie nach Bayern durch. Wie wär`s mit einer Eisner-Statue auf einem Prinzregent-Luitpold-Platz? Einer Statue mit todtraurigem Antlitz, mit wirrem Bart und zerknittertem Schlapphut? Oder – noch besser – einem Kurt-Eisner-Platz, auf dem die Statue Ludwigs II. steht? Er war zwar politisch für Bayern eine Katastrophe, aber wir brauchen ihn wirklich, für die keltischen Abgründe in unseren hiesigen Seelen. Am Sockel des Denkmals aber könnten die Genien stehen, die wir beide benötigen: der Genius der königlichen Geheimnisse – und der Genius der republikanischen Freiheit.

Vorwärts, Kinder des Vaterlands.

Der Untergang BayernsAuszug aus „Das andere Bayern“ Nymphenburger Verlagshandlung, München 1976

………..Die gesamte Entwicklung seit 1948 ist darauf angelegt, eine der robustesten  Ökologien der Erde, jahrtausendelang wenn nicht gepflegt, so doch respektiert, dem Schicksal zuzuführen, das Mesopotamien, Griechenland, Dalmatien und weite Teile Italiens bereits in frühgeschichtlicher oder klassischer Zeit überkommen hat. Und wiederum ist entscheidend, dass der sogenannte Föderalismus der bayrischen Regierungspartei auf den Schaden der Zukunftsvernichtung noch den Spott der dürftigsten Heuchelei häufte und häuft.

Typisch für solche Heuchelei ist das Gesamt-Schicksal (oder, wenn man will, die unausweichliche Bestimmung) des sog. Streibl-Ministeriums, also des Ministeriums, das einmal „Ministerium für Umweltschutz“ hieß, jetzt aber dieses Etikett wenn nicht de jure, so doch de facto mit dem der „Raum- und Landesplanung“ überklebt hat. Damals, im frühen Planungsbewusstsein der späten sechziger Jahre, tat man sich ungemein viel darauf zugute, in Bayern das erste europäische Ministerium mit solcher selbständiger Zielsetzung zu haben.

Und in der Tat: Es war ein geschickter Schachzug, die Errichtung dieses Ministeriums. Wäre Streibl als politische Figur und als Charakter stärker, als er ist, hätte es uns vielleicht widerfahren können, dass hier echte Kompetenzen vor den Höllen-Atem der Interessen geschaltet worden wären. Aber viel wahrscheinlicher ist, dass niemand, auch FJS persönlich nicht, die Transformation dieses Umweltschutz-Ministeriums zum Alibi hätte verhindern können.

Heute ist die Schlacht geschlagen, die Natur, d.h. die menschliche und nichtmenschliche bayrische Welt, hat verloren, und die Rolle des Ministeriums ist klar: Es hat einesteils Drucksachen herzustellen, die laufend seine Wichtigkeit beweisen, es hat anderenteils durch seine „Genehmigungs“-Verfahren jedem, aber auch jedem kommerziellen Großprojekt, das den Wirtschaftsinteressen ins Konzept passt, seinen oberhirtlichen Segen zu geben………………………

Lion Feuchtwanger

(*7. Juli 1884 in München, † 21. Dezember 1958 in Los Angeles)

Lion Feuchtwanger (Skizze pep aarau)

Auszug aus „Erfolg“ Drei Jahre Geschichte einer Provinz

„Das Land Altbayern“ Entstanden zwischen 1927–1930, erschienen 1930.

Das Land Altbayern war kein reiches Land. Vier Gebirgsruinen lagen in ihm. Sie waren Ur-Sache vieler Störungen gewesen; jetzt hatte sich der Boden beruhigt, es gab keine Beben mehr. Aber seine Schätze, Steinkohle, Zementmergel, waren in Tiefen gesunken, die nicht mehr genutzt werden konnten.

Das Gebiet des Landes Altbayern war ein harter, eckiger Strich des Planeten. Lag, schon vor der geologischen Neuzeit, an der Grenze zweier Welten, ein Einschiebsel, getrennt von der nördlicheren Welt, der südlicheren nicht ganz angeschlossen.

Das Land hatte Höhe und Weite, Berge, Seen, Flüsse. Seine Himmel waren bunt, seine Luft machte alle Farben frisch. Es war ein schön anzuschauendes Stück Welt, wie es sich herunterzog von den Alpen nach dem Strome Donau.

Die Bewohner des Landes waren seit alten Zeiten Ackerbauern, städtefeindlich. Sie liebten ihren Boden. Sie waren zäh und kräftig, scharf im Schauen, schwach im Urteil. Sie brauchten nicht viel; was die hatten, hielten sie mit Händen, Zähnen, Füßen fest. Langsam, träg vom Denken, nicht willens, für die Zukunft zu schuften, hingen sie an behaglich derbem Genuss. Die liebten das Gestern, waren zufrieden mit dem Heute, hassten das Morgen. Ihren Siedlungen gaben sie gute, anschauliche Namen, sie bauten Häuser, an denen das Aug sich weiden konnte, schmückte sie mit handfester  Bildnerei. Sie liebten Gebrauchskunst jeder Art, hatten Sinn für bunte Trachten, für Feste, Komödienspiel, Prunk von Kirchen, Prozessionen, für reichliches Essen und Trinken, für ausgedehnte Raufereien. Auch auf die Berge zu steigen liebten sie und zu jagen. Im übrigen wollten sie in Ruhe gelassen sein, ihr Leben passte ihnen, wie es war, sie waren misstrauisch gegen alles Neue.

Das Zentrum dieses Bauernlandes, die Stadt München, war eine dörfliche Stadt mit wenig Industrie. Eine dünne, liberale Schicht von Feudalherren und Großbürgern war da, nicht viel Proletariat, viele Kleinbürger, noch sehr verwachsen mit dem Landvolk. Die Stadt war schön; ihre Fürsten hatten sie mit reichen Sammlungen geschmückt und gutem Bauwerk; sie hatte  Paläste von Fülle und Anmut, Kirchen von Innigkeit und Kraft. Viel Grün war da, große Biergärten mit behaglicher Sicht auf Fluss und Berge. In schönen Läden wurden die Erzeugnisse der Früheren feilgehalten, altväterische nette Möbel, gemütvoller Kleinkram aller Art. Die Stadt basierte ökonomisch auf Brauereien, Veredelungsindustrie, Kunstgewerbe, Bankgewerbe, Holz-, Getreide- und Südfruchthandel. Sie produzierte gute Gebrauchskunst und das beste Bier der Welt. Sonst bot sie wenig Material für industrielle Betätigung. Die geistig Regeren wanderten ab; sie ergänzte sich aus spätgeborenen Bauernsöhnen, die, altem Brauch zufolge, nicht erbberechtigt waren.

Seit dem Sturz der Dynastie zog sich auch der Feudaladel mehr und mehr zurück, die Arco-Valley, die Öttingen-Wallerstein, Castell-Castell, die Poschinger und Törring. Reiche Leute blieben wenige. Nur einer unter je zehntausend Einwohnern versteuerte ein Vermögen von einer Million und darüber. Im übrigen lebte die Stadt sich selber, ein lautes ungeniertes Leben im Fleisch und im Gemüt. Sie war zufrieden mit sich. Ihr Wahlspruch war: Bauen, brauen, sauen.

Oskar Maria Graf

(* 22. Juli 1894 in Berg, † 28. Juni 1967 in New York)

Oskar Maria Graf
Grafik von Zingerl

Brief an Thomas Mann

„Sie wissen, dass ich zu keiner Zeit ein deutscher Patriot war, und ein Nationalist schon gleich gar nicht. „Vaterland“ war für mich von jeher ein Lesebuchschlagwort ohne greifbaren Inhalt und der Begriff „Nation“ blieb mir immer etwas Abstraktes. Theodor Herzl schreibt einmal: „Nation ist eine Gruppe von Menschen, zusammengehalten durch einen gemeinsamen Feind.“ Wenn dem so ist, wenn Nation den Feind geradezu zur Voraussetzung hat, dann konnten nur rivalisierende und konkurrierende Besitzerschichten, die einander etwas abjagen wollten, ein Interesse daran haben, „Nationen“ zu organisieren. Die Völker waren einander nicht feind. Erst als man sie soweit gebracht hatte, dass sie „nationalbewusst“ und „nationalistische“ wurden, konnte man ihnen auch die gegenseitige Feindschaft einreden.

Karl Valentin

(* 4. Juni 1882 in München, † 9. Februar 1948 in Planegg), bürgerlich: Valentin Ludwig Fey

Karl Valentin (Skizze pep aarau)

Auf dem Marienplatz (Auszug aus Karl Valentins „Gesammelte Werke“, München 1961)

Für die ganze Verkehrsordnung hätte ich eine neue Idee. Und jeder Irrsinnige wird mir voll und ganz beistimmen. Mein Prinzip wäre folgendes:

Am Montag dürfen in ganz München nur Radfahrer fahren, am Dienstag nur Automobile, am Mittwoch nur Droschken, am Donnerstag nur Lastautos, am Freitag nur Straßenbahnen, am Samstag nur Bierfuhrwerke. Die Sonn- und Feiertage sind nur für Fußgänger. Auf diese Weise könnte nie mehr ein Mensch überfahren werden.

Ein zweiter Vorschlag wäre auch dieser:

Von 6 bis 7 Uhr morgens sind die Straßen Münchens nur für Radfahrer, von 7 bis 8 Uhr für Automobile, von 8 bis 9 Uhr für Droschken, von 9 bis 10 Uhr für Lastautos, von 10 bis 11 Uhr für elektrische Straßenbahnen, von 11 bis 11 ¼ Uhr für das Glockenspiel, von 11 ¼ bis 12 Uhr für Bierfuhrwerke bestimmt.